Sieben Wochen Shutdown, die wir nun hinter uns haben, gehen nicht spurlos an einem vorbei. Als die Pandemie als Bedrohung identifiziert wurde und ich meinen Yoga-Unterricht einstellen musste, war ich durchaus froh über die Arbeitspause und schmiedete Pläne, was ich alles in der kursfreien Zeit zu Ende bringen würde. Vieles von dem, was ich mir vornahm, konnte ich glücklicherweise realisieren. Doch das ist der berufliche Part.

Im privaten, zwischenmenschlichen beobachte ich eine unglaubliche Verunsicherung. Es fühlt sich so an, als würden die gesellschaftlichen Verhaltensweisen neu entstehen: sich nicht mehr die Hand geben (geschweige denn Umarmen), feindselige Seitenblicke beim Einkaufen, wenn man aus Versehen doch nicht zwei Meter Abstand eingehalten hat, das Zusammenzucken, wenn jemand in der Nähe genießt hat... Die Angst vor einer möglichen Ansteckung sitzt inzwischen so tief, dass social distancing ganz leicht fällt.

Die Erkentnis, die ich vor einigen Jahren in einer größeren Lebenskrise gewonnen habe, ist plötzlich sehr lebendig: ich bin ganz allein! Die soziale Verbundenheit ist eine Illusion. Gerade jetzt stelle ich wieder fest, wie extrem jede*r für sich ist und darauf bedacht, die eigenen Lebensverhältnisse zu regeln. Wo bleibt die Solidarität? Wo bleibt die Sorge um einander? Wo bleibt die nette Nachfrage, ob es einem gut geht? Ich weiß nicht, wie Du es erlebst - ich hoffe, anders - doch ich nehme es ganz extrem wahr: eine Kriesensituation holt alles an die Oberfläche, was tief in der Menschenseele verborgen liegt.

Ich werde diesen Monat viele Briefe, Karten und E-Mails an die Menschen verschicken, von denen ich länger nichts gehört habe: an alte Freunde, die ich in verschiedenen Ländern habe, an Verwandte, die so weit weg sind, und auch an die Menschen, die mich nur kurz im Leben begleitet haben und die ich immer noch im Herzen trage. Ich werde weiterhin meine Yogastunden geben - online und demnächst in kleinen Gruppen - um die Spannungen zu lösen, die in dieser sonderbaren Zeit die Menschen plagen.

Ich wünsche uns allen Menschen - Menschlichkeit - egal was kommt. Die Veränderung, die ich mir für die Welt wünsche, beginnt immer bei mir selbst (frei nach Mahatma Gandhi). Von daher - gehe ich jetzt auf meine Yogamatte - den Ort, an dem das Ego der Selbstlosigkeit weicht.

4 Kommentare

  1. Wow… das sind harte Worte. Ich habe glücklicherweise sehr viel Positives wahrgenommen. Die Hilfsbereitschaft untereinander war groß. Freunde von mir waren an Corona erkrankt und selbstverständlich haben wir deren Besorgungen erledigt. Andere in meinem Freundeskreis, die in Pflegeberufen oder als LKW Fahrer viel geleistet haben wurden in Chattgruppen gefeiert. Wir haben uns über alle Widrigkeiten hinweg auf ein Bier im Videochat getroffen und wunderbare Gespräche geführt. Allein hab ich mich nie gefühlt. Ich wünsche ebenfalls allen Menschen Menschlickeit, und dass der Blick auf die positiven Dinge des Lebens gerichtet bleibt. Sie machen unser Leben lebenswert.
    Einer der positiven Dinge in meinem Leben ist die Yogatruppe bei dir. Es verging kaum ein Tag, an dem ich nicht an Yoga dachte. Auch das hat Kraft gegeben. Also nicht den Mut verlieren 😉

    1. Lieber Carsten, danke für Deine Worte. Ich freue mich, dass Du in dieser Zeit so viel Verbindendes erlebt hast. Das ist eben das Spannende, dass die Menschen es sehr unterschiedlich wahrnehmen. Ich bin nicht traurig oder verloren – vielleicht habe ich einen falschen Eindruck vermittelt. Ich bin gut drauf und über vieles glücklich und dankbar. Ich habe inzwischen sehr viel Distanz zu einigen Matamorphosen des Lebens gewonnen… unter anderem durch die Yoga Praxis 😉
      Ich vermisse meine Yoga Gruppen sehr! Genau wie auch für Dich ist es meine Kraftquelle… Ich hoffe, auf bald!

  2. Die soziale Verbundenheit ist eine Illusion? Ja, manchmal ist es schwer oder zumindest nicht naheliegend, sie zu leben. Aber gehört die Erfahrung von Verbundenheit, von (Ver-)bindung, auch in Corona-Zeiten, nicht auch zur Realität? Oder ist vielleicht sogar umgekehrt die Erfahrung von Alleinsein, von Getrenntsein, eine Illusion? Weil jeder, wenn auch noch so lose, in irgendwelche menschlichen Zusammenhänge gehört?
    Jeder Mensch kann beides, Verbundenheit und Trennung, (mehr oder weniger intensiv) fühlen, mit unterschiedlichen Akzenten in verschiedenen Situation oder den verschiedenen Lebensphasen. Und sogar selbst in die Hand nehmen – z.B. Briefe, Karten, Emails an Menschen verschicken, zu denen er oder sie länger keinen Kontakt hatte (s.o.). Danke für die Anregung, Anna!

    1. Lieber Ansgar, genau so ist das: der Geist bietet einem immer wieder verschiedene Sichtweisen an. Es liegt in der eigenen Hand, die angebotene “Brille” aufzusetzen oder eben nicht. Je nach Verfassung gelingt es einem, die klare Sicht zu bewahren… Alles Liebe für Dich!

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