Wer schon mal längere Zeit im Ausland gelebt hat, kennt das Lebensgefühl der völligen Assimilation auf der einen Seite und des Bewusstseins für eigene Wurzeln auf der anderen Seite. Man fühlt sich wohl in dem Land, in dem man ist, weiß aber gleichzeitig, dass man wieder nach Hause gehen kann.

Als ich nach Deutschland kam, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, war ich mir dessen bewusst, dass es für mich kein Zurück in meine Heimat geben wird. Ich bin nicht geflohen oder bin hier gekommen, weil ich aus Russland unbedingt weg wollte - überhaupt nicht. Ich bin meinem Mann gefolgt, weil ich mit ihm mein Leben verbringen wollte. Und es war klar, dass er nicht in Moskau leben will.

Ich habe lange gebraucht, um hier anzukommen. Russisch im Herzen, wollte ich auf gar keinen Fall äußerlich auffallen. Also lernte ich, akzentfrei Deutsch zu sprechen, absolvierte eine deutsche Universität, passte mein Verhalten so gut es ging an. Und immer fehlte etwas. Immer sehnte ich mich nach einer gemütlichen engen Küche, wo alle zusammen sitzen, Tee trinken, Gitarre spielen und singen. Ich sehnte mich nach den unendlich weiten Wiesen und Wäldern, die scheinbar niemandem gehören und einfach wild sein dürfen. Ich sehnte mich nach dem reichen Kulturleben Moskaus, wo ich von meiner Schwester oft durch den Studenteneingang des Konservatoriums geschmuggelt wurde, um dann nach dem dritten Klingeln eine freie Bank im 1. Rang zu erobern... Das äußerlich komfortable Leben in Deutschland und die nicht enden wollende innere Sehnensucht haben viele Jahre meines Lebens hier geprägt. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich mich nicht voll ausleben kann, weil mir die Resonanz fehlte.

Nun lebe ich schon länger im Ausland als in meiner Heimat. Ich bin viel gereist, habe unwahrscheinlich viele Menschen kennengelernt und durch meine nun schon 20-jährige Yoga-Praxis viele Einsichten gewonnen. Ein Glück! Als junger Mensch suchte ich Gleichgesinnte, Orientierung. Ich wollte mich irgendwo aufgehoben wissen. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich gefragt habe, ob es wirklich so wichtig ist. Die eigene Identität besteht aus so vielen Facetten, dass ich gar nicht sagen könnte, welche Prägung die größte Rolle gespielt hat. Und ist es eigentlich nicht egal, wo man her kommt und was man macht? Wir begegnen uns in erster Linie als Menschen, die miteinander ihren Wohnort Erde teilen. Und so fühle ich mich inzwischen - als WORLD CITIZEN - überall zuhause und mit allem verbunden: mit den lichten Seiten des Lebens, wie auch mit den Schattenseiten, denn beides ist da, auch wenn wir es manchmal nicht wahr haben wollen.

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