Wenn wir im Einklang mit der Natur leben, beobachten wir jedes Jahr im November einen Rückzug: die Bäume lassen die Blätter los, die Gräser werden gelb und trocken, die Vogelstimmen verstummen. Es fühlt sich so an, als würde die Natur den Atem anhalten. Wir wissen, wie wichtig diese Auszeit im Jahreslauf ist, nehmen sie hin und warten auf den Frühling.

Doch was ist eigentlich mit uns? Wann nehmen wir uns eine Auszeit, um die Sinne zu beruhigen, einen Abstand zum eigenen Tun zu bekommen und Kraft zu schöpfen? Wann richten wir unseren Blick nach innen, anstatt nach außen?

Eigentlich haben wir für Rückzug keine Zeit: permanent erreichbar, schnell unterwegs, ein Meer von Möglichkeiten - da will man nichts verpassen. Unmengen an Informationen und Eindrücken rieseln auf uns herab, wie schaffen wir es, alles zu verarbeiten und das für uns Relevante herauszufiltern? Im Katha Upanishad wird das Wirken der Sinne anhand des berühmten Wagenlenkergleichnis bildhaft gemacht:

"Verstehe das Selbst als den Herrn des Wagens, den Körper als den Wagen selbst, den urteilsfähigen Verstand als Wagenlenker und den Geist als Zügel. Die Sinne, sagen die Weisen, sind die Pferde, eigennützige Begehren sind die Strecken, die sie zurücklegen (...) Wenn jemandem Urteilsvermögen mangelt und sein Geist undiszipliniert ist, laufen die Sinne hierhin und dorthin, wie Wildpferde."

Lassen wir die Wildpferde laufen, sind wir rastlos und unersättlich. Lernen wir den Wagen zu lenken und die Sinne zu beherrschen, können wir bei uns selbst ankommen, unsere Energie sammeln und die Eindrücke bewusst filtern.

Im Yoga heißt diese Praxis Pratyahara - das 'Zurückziehen der Sinne' oder auch 'Fasten der Sinne'. Ziel dieser Praxis ist, unsere Sicht auf die Außenwelt von der Färbung der Sinneswahrnehmung zu reinigen. Unsere Sinne werden mit den offenen Toren verglichen: sind sie weit geöffnet - was in der Regel der Fall ist - lassen sie alles herein, egal ob nützlich, störend, gewünscht oder ungewünscht. Dies führt dazu, dass wir, durch die Sinne beeinflusst, dazu neigen, unkontrolliert auf die Reize der Außenwelt zu reagieren.

Die Sinne beherrschen zu lernen funktioniert nicht mit Gewalt, sondern mit Verfeinerung der Wahrnehmung. Zunächst entziehen wir den Sinnen die Nahrung, indem wir sie zurückziehen - so wie die Schildkröte ihre Glieder in den Panzer einzieht. Das hilft uns, das Eigenwesen des Geistes wahrzunehmen und den Blick dafür zu schärfen, was uns nützlich ist und was nicht. So können wir uns mit unserer inneren Welt verbinden unabhängig davon, was um uns herum passiert. In sich selbst ruhend, begegnen wir die Außenwelt mit einer anderen Haltung und können unsere Sinne darauf lenken, was für uns relevant ist.

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