Sommerzeit ist gewöhnlich auch Reisezeit. Meine Familie gehört nicht zu denen, die ein Jahr im Voraus die Ferien plant. Wir sind recht spontan: das hat natürlich Vor- und Nachteile. Dieses Jahr war das auch so: wir haben erst im Mai entschieden, wo wir überhaupt hinfahren.

Und ich muss sagen: diese Reise wurde für mich zu einer minimalistischen Erfahrung schlecht hin.

Ich bin noch nie verreist ohne zu wissen, wo ich hinkomme, wie lange ich wo bleibe und wann ich zurück fahre. Wir haben unseren Bulli gepackt - ein bisschen Kleidung, Lesestoff, Espresso-Kocher, Wegzehrung und natürlich die Yogamatten - und sind - nur die ersten fünf Etappen geplant - losgefahren. Ohne Erwartungen, ohne vorher den Reiseführer studiert zu haben, mit dem Ziel, irgendwann in Moskau anzukommen. Und dann sehen wir mal.

Ich kann nicht sagen, dass diese Reise besonders erholsam war. Meine Kinder mussten die längere Fahr-Etappen und Städte-Bummel wegstecken. So haben wir gesehen, dass gepflasterte Straßen und hohe Häuserzeilen nichts für die freie Kinderseele ist. Die ewigen Wartezeiten an den Grenzübergängen und die zeitraubende Registrierung in den russischen Behörden, die mit Logik nicht zu erfassen ist, wurden für uns zu einer Herausforderung, eine positive Grundhaltung zu bewahren. In diesem Momenten fiel mir der Satz eines russischen Klassikers wieder ein: "Mit dem Verstand kann man Russland nicht ergründen."

Und dennoch war unsere Reise schön. Wir sind durch Polen, Oblast Kaliningrad, Litauen, Lettland und Russland bis nach Moskau gefahren. Wir haben wunderschöne Städtchen gesehen, die mit viel Liebe wieder aufgebaut worden sind. Wir waren auf der Kurischen Nehrung mit ihren weiten weißen Stränden, Wanderdünen und dem Frische Haff. Wir sind in vielen klaren Seen Lettlands geschwommen und haben den Störchen beim Klappern und Frösche Fangen zugeschaut. Wir haben gesehen, wie die baltischen Staaten sich Stück für Stück aus der Beton-Hand der sozialistischen Bauweise befreien und zu ihren Ursprüngen finden. Wir sind durch die unendlichen Weiten Russlands gefahren und haben die vielen Kontraste wahrgenommen, die in diesem Land so präsent sind: eng und unendlich, arm und reich, schön und hässlich, monumental und in-sich-zusammenbrechend, mürrisch und herzlich, offen und undurchdringlich, auf-die-Palme-bringend und zu Tränen rührend. Täglich durften wir kleine Geschenke des Lebens empfangen, sei es ein tolles Naturerlebnis, ein spannendes Gespräch, ein verstecktes nettes Cafe oder Live Musik auf der Straße...

Ich glaube, das Wichtigste an dem minimalistischen Reisen ist nicht die Größe oder die Anzahl der Gepäckstücke, sondern die Abwesenheit jeglicher Erwartungen an das, was kommen mag. Erst mit einer solchen Einstellung ist man in der Lage, die Geschenke des Lebens als solche wahrzunehmen. Ich hatte eigentlich jeden Tag das Gefühl, ich sei ein richtiger Glückspilz.

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